Hilft es Dir wirklich eine Morgenroutine zu haben?

Du kommst wahrscheinlich auf Social Media & Co. gar nicht daran vorbei Dich zu fragen, ob Du nicht mal eine Morgenroutine etablieren solltest oder ob Deine aktuelle optimal ist und was Du vielleicht noch ergänzen könntest!?

Aus (körper-)therapeutischer Sicht fand ich es schon immer etwas schwierig „One-fits-all“-Konzepte zu proklamieren. Es gibt so unterschiedliche Lebensweisen und Charakterstrukturen, da bin ich skeptisch, ob so etwas wie eine Morgenroutine (bzw. die Idee dahinter) nicht für einige kontraproduktiv sein kann.

Denke ich zum Beispiel an eine extrem leistungsorientierte Lebensweise befeuert so ein rigides Abarbeiten von „Dingen, die man macht“ eher noch die eingefahrenen Muster anstatt den Charakterpanzer aufzulösen.

Es ist tatsächlich nicht einfach, Verhalten zu ändern. Charakterliche Veränderungen oder Veränderungen unserer grundlegenden Art und Weise, sind sogar noch herausfordernder.

Deswegen warte mal kurz! Stopp mal die „beste Morgenroutine“ mit dem Bullet-Proof-Kaffee, der täglichen Meditation, dem morgendlichen Journaling, den Affirmationen, sich selbst zu lieben und den tausend anderen Wegen, in die wir uns hineinzuzwängen versuchen, um zufriedener, besser, klüger, reicher, fitter und glücklicher zu sein.

Hör mal für einen Moment auf, so zu tun, als hättest Du alles unter Kontrolle und sei einfach die uninspirierte, überarbeitete Version von dir selbst, die es satt hat, sich zu ändern!

  • Wenn Du gerade sitzt spüre Deine Sitzbeinhöcker auf der Sitzfläche.
  • Wenn Du gerade stehst Deine Füße auf dem Boden.
  • Nimm Deinen Atem wahr, Deine Müdigkeit, den Geschmack in deinem Mund.
  • Sei einfach da und tue nichts, um Dich zu ändern.

Die paradoxe Theorie der Veränderung ist das Herzstück der Gestalttherapie und ein Gegenpol zu unserer kontinuierliche nach Verbesserung strebendend Kultur.

Sie besagt:

Das, wogegen Du Dich wehrst, bleibt bestehen – What you resist persists!

Anders ausgedrückt: Je mehr wir versuchen, uns zu ändern, desto mehr bleiben wir gleich.

So funktioniert diese kontraintuitive Idee:

Wenn wir uns nicht mit Teilen von uns identifizieren können, zum Beispiel unserem Wunsch nach Ruhe, unserer Wut oder unserer Scham über unseren Körper, entstehen innere Konflikte und wir sind nicht mehr in der Lage, unsere eigenen Ressourcen auf Veränderungen auszurichten.

Die Wurzeln der persönlichen Veränderung liegen in unserer Fähigkeit, anzuerkennen und mit dem zu sein, was wir im Moment tatsächlich sind.

Wenn wir Erfahrungen, die wir als negativ bezeichnen, wegschieben oder Gefühlen, die wir nicht haben wollen, widerstehen, sagen wir uns, dass wir nur in dem Maße akzeptabel sind, in dem wir uns „gut“ fühlen oder „gut“ handeln.

Unser ganzes Selbst anzuerkennen bedeutet, bei uns selbst zu sein, wenn wir entspannt, mitfühlend, liebevoll, inspiriert und fröhlich sind
UND
wenn wir ängstlich, kleinlich, wertend, depressiv, neidisch, gierig und wütend sind.

Es bedeutet auch, den Teil von uns anzuerkennen, der es hasst, eines dieser Dinge zu sein, und sich dagegen wehrt, sie anzuerkennen.

Wenn eine Person jemandem sagt, dass sie wütend auf sie ist und die beiden Menschen in Kontakt bleiben und sich auseinandersetzen, unterstützen sie sich implizit gegenseitig in Selbstakzeptanz.

Und dann beginnt die Veränderung von selbst.

Jemand erkennt seine Wut an und teilt sie mit. Die Wut kommt in Bewegung und kann integriert werden.

Was heißt das nun für eine Morgenroutine?

Ich glaube es ist schön und hilfreich sich am Morgen (oder auch zu jeder anderen Tageszeit) Zeit für sich selbst zu nehmen. Nutze diese Zeit um wirklich in Kontakt mit DIR zu kommen. Merkst Du, dass es irgendwann zum Abarbeiten wird, es Druck erzeugt oder eingefahren Verhaltensmuster verstärkt werden, halte wieder inne und spüre nach.

Ich glaube auch, dass alles seine Zeit hat. Es kann Phasen in Deinem Leben geben, in denen es Dir gut tut um 5:00 Uhr morgens aufzustehen Yoga zu praktizieren, zu meditieren und dann zur Sportgruppe in den Park zu gehen bevor Du Dir ein gesundes Frühstück zubereitest. Und es kann wiederum Phasen geben, in denen Deine tägliche „Self-care-time“ lediglich eine ausgiebige heiße Dusche umfasst.

Und ich glaube der Schlüssel ist es ist, in allen Phasen bei Dir selbst zu sein und Dich in liebevoller Akzeptanz aller Deiner Anteile zu üben – mit oder ohne Morgenroutine.

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